Erweckung

Wenn die Kraft des Heiligen Geistes kommt

 

Erwecklichen Aufbrüchen gingen immer Zeiten voraus, in denen den Gläubigen auf schmerzliche Weise bewusst wurde, wie schlimm es um die Kirche und die Gesellschaft steht.

Häufig nutzt Gott auch Berichte von früheren Geistesaufbrüchen, um den Gläubigen das Defizit des momen­tanen Zustandes aufzuzeigen und sie gleichzeitig mit Hoffnung zu erfül­len, dass er wie in früheren Zeiten eingreifen würde.

Sowohl in Wales als auch auf den Hebriden war das der Fall. Noch während die Erweckung in Wales lief, wurden mehrere Bücher darü­ber geschrieben. Allein von Solomon Benjamin Shaws Buch «The Great Revival in Wales» wurden 30'000 Exemplare in die Vereinigten Staaten verschifft. Überall in den USA seien daraufhin Gebetsgruppen entstan­den, die aus tiefer Betroffenheit, aber auch mit gestärktem Glauben, für ein Eingreifen Gottes ähnlich demjeni­gen in Wales beteten. Kirchenhisto­riker führen die pfingstliche Azusa-Street-Erweckung von 1906 direkt darauf zurück.


Heilige Unzufriedenheit mit dem Istzustand

Dieses tiefe Empfinden über das Fehlen geistlicher Kraft gilt auch für die Erweckung auf den Hebriden. Als menschliches Werkzeug diente Duncan Campbell, der sich nach ei­ner inneren Zerbruchserfahrung mit 57 Jahren Gott neu zur Verfügung stellte, sein Pfarramt in der schotti­schen presbyterianischen Kirche auf­gab und in die Faith Mission eintrat, deren Mitarbeiter er in jungen Jah­ren schon einmal gewesen war. Dun­can Campbell: «Ich weiss von keiner grösseren Tragödie, als das Bewusst­sein der unmittelbaren Gegenwart Gottes zu verlieren.» Und er folger­te: «Können wir nachlässig im Werk des Herrn sein – nachlässig, wenn das Haus brennt und die Menschen in Gefahr sind, darin zu verbrennen?» Auf meine Frage, was seinen Vater ausgezeichnet habe, meinte sein Sohn Archie Campbell: «Er war total fokussiert, 24 Stunden am Tag fokus­siert.» Und Duncan Campbells Toch­ter Sheena Vischer-Campbell meinte auf eine entsprechende Frage, dass ihr Vater von einer heiligen Unzufrieden­heit, aber auch von einer tiefen Liebe zu den Menschen geprägt gewesen sei, im Wissen, dass Erweckung immer bei einem selbst beginne.


Abwendung von toter Religiosität und Hinwendung zur Verkündigung des Wortes Gottes

In seinem Augenzeugenbericht «I saw the Welsh Revival» schreibt David Matthews: Erweckung ver­leiht aller künstlichen religiösen Feierlichkeit den Todesstoss. Kühle Formen und Regeln, die in anderen Lebensbereichen von Nutzen sein mögen, sind das erste Opfer jeder geistlichen Bewegung.» Und Duncan Campbell folgert aus 23 Jahren Dienst im Pfarramt: «Wir haben zu viel Zeit mit Methoden, kirchlicher Maschinerie und Res­sourcen verbracht und zu wenig Zeit mit der Frage, wo die Quelle der Kraft liegt. Die ersten Christen nah­men geistliches Land ein, weil Gottes Gegenwart und Segen ihre Verkündigung durch übernatürliche Zei­chen, Offenbarung und Demonstrationen von seiner Macht bestätigte ... O dass die heutige Kirche ... zurückfinden möge zu einem Ort der Gegenwart Gottes, zu einem Ort der Kraft ... Macht nie unbiblische Kom­promisse, um den Teufel zufrieden­zustellen!» Noch deutlicher äusserte sich der Erweckungsprediger Charles Finney: «Hört auf mit euren Milch-und-Wasser-Predigten über die Liebe Christi, wenn sie nicht zu einem hei­ligen Lebensstil und zur Abwendung von Unmoral führen.»


Aussergewöhnliches, verzweifeltes Gebet

Wer die Berichte über Erweckungen liest, stösst immer wieder auf das Wort «desperate», auf Deutsch: ver­zweifelt. Damit wollte man ausdrü­cken, dass man jegliche menschliche Lösungsversuche als nichtig erachtet und nur mehr von Gott allein Verän­derung erwartete. Unsere eigene Stär­ke ist oft das grösste Hindernis für das Erleben von Gottes Eingreifen. Das erklärt auch die Tatsache, dass die erwecklichen Aufbrüche oft dort geschehen, wo man es nicht erwarten würde. 1939 hatte es auf den Hebri­den bereits eine kleine Erweckung in der «Free Church of Scotland» gegeben. Viele ihrer Prediger hatten dann grosse Mühe zu verstehen, warum zehn Jahre später Gott so gewaltig in der ihrer Meinung nach «toten» Staatskirche wirkte. Es brauchte viel Demut ihrerseits, diese Erweckung, die für sie am «falschen Ort» ausgebrochen war, zu unterstützen.

Es waren vor allem zwei hochbetagte Schwestern der Kirche in Barvas auf der Hebriden-Insel Lewis, die eine taub, die andere halb blind, die 1949 in verzweifelter Weise Gott anflehten, er möge eingreifen und insbesondere die Jugend zu ihm zurückführen. Schliesslich gab Gott ihnen Gewissheit, dass er als menschliches Werkzeug dazu Duncan Campbell brauchen würde. Dieser war aber anderswo im Ein­satz. Sie hielten jedoch an der Ver­heissung Gottes fest, bis er kam und mit ihm die Erweckung, die sich in den folgenden Jahren über gros­se Teile der Äusseren Hebriden ausbreiten sollte.

Bekannt ist das verzweifelte Gebet von John Knox, einem Schüler von Johannes Calvin: «Gib mir Schott­land, oder ich sterbe!» Zweihundert Jahre später betete John Wesley, Va­ter der methodistischen Erweckung, in England: «O dass Gott mir die Dinge geben würde, nach denen ich mich sehne, dass ich ein Volk sehen möge, das ganz Gott hinge­geben lebt, der Welt gekreuzigt.» Und nochmals zweihundert Jahre später zeigte Edwin Orr, der Erwe­ckungshistoriker schlechthin, Billy Graham den Schlafraum von John Wesley im Lincoln College in Ox­ford, dort, wo alles mit dem «Holy Club» unter den Studenten be­gann. Billy Graham zu Edwin Orr: «Heisst das, dass alles mit einer Gruppe von Studenten begann?» Spontan knieten die beiden nie­der. Billy Graham betete: «O Herr, tue es noch einmal!» Wenig später erlebte Billy Graham den Durch­bruch in seinem evangelistischen Dienst. Für Evan Roberts gehörten Gebet und Erweckung zusammen: «Es gibt nur einen Weg, Erweckung zu erlangen, und das ist durch das Gebet, durch einmütiges Gebet. Je­de Gemeinde sollte einen Gebets­kreis haben. Die Menschen müssen alles Gott hingeben. Die Bibel muss täglich gelesen werden ... Die Kraft der Erweckung liegt im Gebet.» 


Reinigung der menschlichen Gefässe

Evan Roberts, der während über zehn Jahren für eine Erweckung in Wales gebetet hatte, musste zuvor zur Einsicht kommen, dass noch einiges an Unzerbrochenheit in seinem Leben war. Ein Wort aus einem Gebet von Seth Josua blieb bei ihm haften: «Herr, beuge mich!» Er wusste: Das galt ihm. Fortan bat er Gott inständig, alles wegzunehmen in seinem Leben, was Gottes Wirken hinderlich sein könnte.

Auch Duncan Campbell erlebte eine tiefe Überführung seines Gewissens, bevor er als erweckliches Werkzeug brauchbar wurde. Er war stolz darauf, ein gefragter Prediger und Konferenzredner zu sein. Aber tief im Inneren fühlte er eine grosse geistliche Leere. Gebet war für ihn eine Last und das Wort Gottes ein toter Buchstabe: «Ich war fest entschlossen, wenn Gott nicht etwas tun würde und mir das zurückgeben würde, was ich verloren hatte, dass ich dann den Dienst quittieren würde.»

Später wies Duncan Campbell immer darauf hin, dass seine Rolle bei der Erweckung auf den Hebriden nur gering gewesen sei. Die meisten Menschen seien vom Heiligen Geist schon überführt worden, bevor sie über die Kirchenschwellen getreten seien, berichtete er. Wenn schon, dann sei es das verzweifelte Gebet des einfachen Gläubigen gewesen, das den Boden für die Gegenwart Gottes gelegt habe.


In Erweckungszeiten leben die Gläubigen in einer dauernden Haltung der Abhängigkeit von Gott, die sich im Gehorsam auch in ganz kleinen Dingen äussert. Charles Thomas Studd, der Gründer des WEC (Weltweiter Einsatz für Christus), formulierte es so: «Erweckung ist in Tat und Wahrheit Gehorsam gegenüber dem Heiligen Geist ... Lasst uns gehorchen, und wir werden unmittelbar das erweckliche Wirken in unserem Leben und in unserem Umfeld erleben.»


Gottes Wort in der Kraft des Heiligen Geistes

Durch das Studium der Erweckungsliteratur ist bei mir in den letzten Jahren die Erwartungshaltung gewachsen, dass Gott auch in unserer Zeit nochmals erwecklich handeln will und wird. Gleichzeitig empfinde ich eine zunehmende Trauer über den Kleinglauben von uns Christen, besonders in Europa. Ein Inder hat mir einmal gesagt, dass das geistliche Problem in Europa nicht der Unglaube der Heiden sei, sondern der Kleinglaube der Gläubigen. Der kleine Glauben hat damit zu tun, dass wir dem Wort Gottes nicht mehr Vertrauen schenken. Wir passen die biblische Wahrheit an unsere beschränkten Erfahrungen an, anstatt glaubensvolle Schritte zu tun im Vertrauen auf die Verheissungen der Bibel. Wir nehmen damit dem Heiligen Geist das Schwert weg; denn das

Wort Gottes ist gemäss der Waffenrüstung von  Epheser 6,17 das Schwert des Heiligen Geistes, mit dem er Menschen ins Herz sticht, sodass sie ihre Sündhaftigkeit sehen, Jesus als Erlöser erkennen und umkehren. Heute betonen fast alle Christen, wie wichtig der Heilige Geist für unser Leben und unseren Dienst ist. Aber die wenigsten handeln danach.

Wie soll uns Gott bevollmächtigen, wenn wir die Kontrolle über unsere Gemeindesitzungen und Gottesdienste selber behalten wollen? Wie können wir gemäss Galater 5,25 und Matthäus 11,28–30 im Gleichschritt mit Jesus und dem Heiligen Geist voranschreiten, wenn wir immer noch selber den Takt angeben?


Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine neue tiefe Geistesausgiessung, eine neue Erfüllung mit dem Heiligen Geist, gleichgültig, ob unser Glauben charismatisch oder nichtcharismatisch geprägt ist. Das war eine, wenn nicht die Kernbotschaft der Erweckungsprediger an die Gläubigen ihrer Zeit. Dazu der Erweckungsprediger Evan

Roberts: «Die Taufe mit dem Heiligen Geist ist die Essenz der Erweckung. Denn die

Erweckung kommt von einem Wissen um den Heiligen Geist und von einer Zusammenarbeit mit ihm, die Gott ermöglicht, in Erweckungskraft zu wirken. Die primäre Bedingung für Erweckung ist, dass Gläubige die Taufe des Heiligen Geistes erfahren.»


Duncan Campbell beschrieb die persönliche Veränderung so: «Die Taufe im Heiligen Geist kam zu mir in einer mächtigen, reinigenden, bevollmächtigenden Kraft ... Ich ging hin aus und predigte die gleiche Predigt, die ich siebzehn Jahre lang gepredigt hatte, mit dem Unterschied, dass ich nun erlebte, dass Hunderte von Menschen sich bekehrten und die Erlösung durch Christus ergriffen.»

In der Apostelgeschichte 5,32 wird der Empfang des Heiligen Geistes mit unserem Gehorsam in Verbindung gebracht. Dazu der Chinamissionar Hudson Taylor: «Gott gibt den Heiligen Geist nicht den jenigen, die sich nach ihm sehnen; nicht denjenigen, die zu ihm beten; nicht denjenigen, deren Wunsch es ist, dauernd mit dem Heiligen Geist erfüllt zu sein. Er gibt den Heiligen Geist denen, die ihm gehorchen.»


Das betonte auch Evan Roberts Mitte der Dreissigerjahre in einem Gespräch mit Edwin Orr: «Mit Gott arbeiten ist ‹Gebet in Aktion›. Das völlige Sich-Gott-Überlassen stellt sicher, dass Gott uns während des ganzen Tages leitet, deshalb besteht unsere Aufgabe ganz einfach darin, auf Gottes Stimme zu hören und dann ihr zu gehorchen.»


Für Nachhaltigkeit sorgen

Auf die Frage, warum die mächtige Geistesausgiessung auf den Hebriden so nachhaltige Frucht brachte und als Folge viele Menschen in den Kirchendienst eintraten oder in die Mission gingen, meinte Duncan Campbell: «Wir haben ein Volk, das sich der Autorität und Inspiration des Wortes Gottes nicht berauben liess. Die

Bibel zu Hause, bei der Familienandacht und in der Kirche war für sie das Wort Gottes, dessen Autorität und Inspiration nicht in Frage gestellt wurden.»


Das scheint mir für unsere Zeit ein Schlüssel zu sein: Im Gegensatz zu den

Erweckungen in Wales und auf den Hebriden sowie den meisten erwecklichen Aufbrüchen ist heute kein biblisches Grundwissen mehr vorhanden, auf dem aufgebaut wer den könnte. Die Gefahr besteht, dass ein Erweckungsfluss über das Land hinwegströmt, ohne nachhaltige Veränderungen zu bewirken.


Meine Frau und ich waren wenige Monate nach 9/11 in New York, um zu lernen, wie wir uns in Zukunft optimal auf Katastrophen vorbereiten können und fähig werden, den Menschen geistliches Brot zu verteilen. Während unseres mehrtägigen Besuchs, bei dem wir zahlreiche geistliche Leiter unterschiedlicher konfessioneller Herkunft trafen, lernten wir eine wichtige Lektion: Unmittelbar nach 9/11 hatten die Menschen ein grosses Bedürfnis, sich mit jemandem über die traumatischen Erfahrungen auszutauschen. Aber nur diejenigen Gemeinden, die in der Nachbarschaftsevangelisation Erfahrung hatten und eine Kleingruppenstruktur aufgebaut hatten, waren darauf vor bereitet. Diese erlebten nach 9/11 ein grosses Wachstum. Der Gottesdienst besuch bei der grossen Mehrheit der Kirchen veränderte sich jedoch kaum.


Das wird auch in der Schweiz der Fall sein, wenn wir in den kommenden Jahren nicht alles unternehmen, um die «Basics» des christlichen Glaubens rund um den Kreuzestod Christi und den Empfang des Heiligen Geistes wieder bei den Christen zu verankern. Alphalive, LiFe oder ähnliche Glaubenskurse sind sicher gute Mittel dafür. Zusätzlich gilt es, Jüngerschaftsstrukturen zu legen und Kleingruppen zu bilden, in denen das Wort Gottes gemeinsam studiert wird. In Gemein den sollten Bibelkurse angeboten werden, um Jünger Jesu auszubilden, die befähigt sind, die vielen suchenden Menschen im Ernstfall zu begleiten und im Glauben zu vertiefen.


Angenommen, wir hätten in absehbarer Zeit zehnmal so viele am Glauben interessierte Menschen wie heute, was müssten wir tun, damit aus suchen den Menschen wirkliche Nachfolger Jesu werden? Wären wir darauf vor bereitet?


Möge es so sein, wenn die sehnlichst erwartete grosse geistliche Ernte auch in Europa und der Schweiz kommt! Bis dahin haben wir jedoch noch einiges zu tun. 


Datum: 27.08 + 05.09.2012 

Autor: Hanspeter Nüesch

Quelle: Christliches Zeugnis 2/12